Die Medien der deutschsprachigen Underground-Literatur

Medien der deutschsprachigen Underground-Literatur

Dissertation

Die Medien der deutschsprachigen Underground-Literatur – Netzwerke transnationaler Gegenöffentlichkeiten im 20. Jahrhundert

Ausgangspunkt des Promotionsvorhabens ist die von der deutschsprachigen Alternativszene selbst formulierte Feststellung, die ab 1968 ins Zirkulieren gebrachten Journale gehorchten einem inszenierten Chaos. Visuell werden vorsätzlich ungeordnete Seiteninhalte politischer, literarischer, religiöser Umwälzungen dieser Umbruchszeit dem Publikum in einer von thematischem Pluralismus und typographischer Heterogenität geprägten Seitengestaltung unterbreitet. Bunte, visuell wie inhaltlich überfrachtete Hefte liefern ein auf den ersten Blick unübersichtliches, im Bricolage-Stil kompiliertes Chaos. Genauer besehen erweist sich die scheinbare Willkür allerdings als diskursiv begründet, als Element strategischer Distinktion im zeitgenössischen Kulturbetrieb. Die inszenierte Heterogenität der Journale, die amateurhafte Anmutung ihrer Gestaltung, ihrer Produktion und Distribution, aber auch ihre ostinate Tendenz zur Vernetzung durch wechselseitige Zitation geben eine Eigenlogik zu erkennen, deren Funktionsweise, Wirkung und kulturgeschichtliche Verortung freizulegen sich mein Projekt zum Ziel gesetzt hat. Die Aufmerksamkeit gilt insbesondere der Netzwerkbildung zwischen vermeintlich nicht zusammengehörigen /-passenden U-Journalen. Synchron publizierte Journale wie Ulcus Molle Info (1969-1990), Gasolin 23 (1973-1986) und Boa Vista (1974-1983), konturieren je für sich, gerade aber auch in der perennierenden Interaktion untereinander, sowie im Austausch mit Romanen und Lyrik-Anthologien der transnationalen Underground-Szene, im Wechselspiel mit den kulturellen Artefakten der englischsprachigen Beatniks der 1950er und 60er Jahren, im Rekurs auf die Surrealisten und Dadaisten der Moderne, in der scharfen Abgrenzung gegenüber der high- und mid-culture ihr spezifisches Verständnis einer Literatur des/im Underground. Dieses rhizomartige Verweisnetzwerk, wie es sich etabliert, sich zu erkennen gibt, sich über sich selbst verständigt und sich abgrenzt, welche Lektüren es eröffnet, welche kulturpoetische Relevanz ihm zukommt, möchte die geplante Untersuchung mit den Mitteln einer kulturgeschichtlich ausgerichteten Medien- und Materialphilologie sichtbar machen, in der Fläche ebenso wie in Form von close-readings.