Workshop: „Unser Leben ist der Inhalt“- Deutschsprachige Fanzines
„Unser Leben ist der Inhalt“
Deutschsprachige Fanzines. Ein Workshop.
13.-14. März 2025
Im Archiv für Alternativkultur und Archiv der Jugendkulturen, Berlin
Organisiert von Noran Omran (Erlangen) und Erika Thomalla (München)

Weitestgehend von ihren Antagonist*innen im sogenannten Establishment und Mainstream unbeachtet und kaum Gehör findend in den massentauglichen oder etablierten Verlags- und Pressehäusern, entstand mit der Formierung vielfältiger Gegen- und Subkulturen im deutschen Sprachraum eine hohe Anzahl meist kurzlebiger Journale (vgl. Emig 1971). Sie wurden in Selbst- und Kleinverlagen einzelner publizistisch-literarisch aktiver Szeneangehöriger produziert und in Handreichung distribuiert (vgl. Daum 1975,5). Trotz divergierender, stellenweise widersprüchlicher Ambitionen sind dem gegenkulturellen Patchwork aus politischen, sozialen und kulturellen Szenen die vehemente Ablehnung der etablierten Massenmedien (vgl. Kraushaar 2008,37) und einer als elitär empfundenen Hochkultur (vgl. Bandel 2019,308–311) gemeinsam. Zudem teilen viele Magazine die Ambition, ein Alternativpressewesen herzustellen, das sich von einer als hegemonial wahrgenommenen Dominanzöffentlichkeit distinguiert wissen will (vgl. Daum 1981,42f.).
Deutschsprachige Fanzines sind für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Gegenöffentlichkeiten im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konstitutiv. Als journalförmige Archive (vgl. Podewski 2023) konservieren sie Gegenwarten differenter politischer und kultureller Strömungen sowie sozialer Sphären, die zeitgleich in einem heterogenen Nebeneinander existierten. Ihre Macher*innen sind oft selbst Angehörige einer Subkultur, Insider und Chronisten*innen, die über äußerst „spezifisches Wissen“ verfügen – von Musik, Kultur, Literatur, Spiritualität, Sexualität, Politikgesinnung bis hin zu einzelnen Personen – die Aufzählung ließe sich weiterschreiben, weshalb neben dem Fanzine-Begriff Bezeichnungen wie Egozines, Comicfanzines, Artcorefanzines, Literaturfanzines, Punk- und Hardcorefanzines kursieren (vgl. Büsser 1997, 28–36; vgl. Kleiber 1997, 62–64). Fanzines sind Orte des Experimentierens. Sie kombinieren und collagieren heterogene Materialien aus anderen Zeitschriften und Zeitungen, erproben neue Formen des Sounds, vernetzen lokale Szenen durch Klatsch und Tratsch (Thomalla 2023) und entwickeln ganz eigene Expertisen im Hinblick auf die von ihnen fokussierten Gegenstände oder Phänomene. Diese Expertise kommt nicht nur in Rezensionen oder Berichten, sondern auch in Fanfiction zum Ausdruck (Jenkins 1992). Die Analyse von Fanzines verspricht weitreichende Erkenntnisse über das Selbstverständnis, die Wissensbestände, die Sprache, die personelle Zusammensetzung und die Organisationformen der Gegen- und Subkulturen seit den 1960er Jahren. Wenn Klaus Abelmann 1980 in seinem Fanzine Gegendarstellung schreibt „Unser Leben ist der Inhalt. […] Das ist der Unterschied zu irgendwelchen Zeitschriften/Zeitungen“, dann ist damit das Potenzial von Fanzines für eine Kulturgeschichte des Undergrounds benannt. Wurde dieses Potenzial im Hinblick auf englischsprachige Fanzines in den USA und Großbritannien längst erkannt – etwa in den Arbeiten von Chris Atton (2001), Stephen Duncombe (1997), Henry Jenkins (1992) und Matthew Worley (2015) –, sind ihre deutschsprachigen Pendants noch kaum erforscht. Bislang fanden deutschsprachige Fanzines vor allem in der Jugendkulturforschung Beachtung (vgl. JuBri-Forschungsverbund 2018) und zwei interdisziplinäre Untersuchungen von Jens Neumann (vgl. ders. 1997; 1999) liefern hilfreiche Überblicke.
Der Workshop „Unser Leben ist der Inhalt“. Deutschsprachige Fanzines möchte einen genaueren Blick in den umfangreichen Bestand deutschsprachiger Fanzines werfen. Durch die Auswertung von Materialien u.a. aus dem Berliner Archiv der Jugendkulturen sowie dem Archiv für Alternativkultur sollen einerseits konkrete politische und ästhetische Programme, Zielgruppen, Kommunikations- und Darstellungsformen von Fanzines erkundet werden. Andererseits interessiert sich der Workshop auch für die Produktions- und Distributionsverfahren, für Rezeptionsbewegungen, für das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit sowie für die – oftmals pseudonymen – Autorschaften der Verfasser*innen.
Kontakt: Noran Omran ; Erika Thomalla
- Atton, Chris: Alternative Media. London 2001.
- Bandel, Jan-Frederik: Underground, 304–325. In: Baßler, Moritz / Schumacher, Eckhard (Hrsg.): Handbuch Literatur & Pop. Berlin / Boston 2019.
- Büsser, Martin: Musikmagazine und Fanzines in Deutschland, 17–44. In: Neumann, Jens (Hrsg.): Fanzines. Wissenschaftliche Betrachtungen zum Thema. Mainz 1997.
- Daum, Thomas: Die 2. Kultur. Alternativliteratur in der Bundesrepublik. Dissertationsschrift. Mainz 1981.
- Daum, Thomas: Ghetto, Sprungbrett, Basis. Zum Selbstverständnis der Alternativpresse seit 1968. Hamburg / München 1975.
- Duncombe, Stephen: Notes from Underground. Zines and the Politics of Alternative Culture. London / New York 1997.
- Emig, Günther: Aufruf zur Eroberung der Bibliotheken, S. 39–43. In: Gehret, Jens (Hrsg.): Gegenkultur Heute. Die Alternativ-Bewegung von Woodstock bis Tunix. Amsterdam 1979.
- Fraser, Nancy: Rethinking the Public Sphere. A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy. In: Social Texts 25/26 1990, S. 56–80. Jenkins, Henry: Textual Poachers. Television Fans & Participatory Culture. New York / London 1992.
- Kleiber, Stefan: Fanzines. Eine der letzten Alternativen, S. 46–58. In: Neumann, Jens (Hrsg.): Fanzines. Wissenschaftliche Betrachtungen zum Thema. Mainz 1997.
- Kraushaar, Wolfgang: Theorie und Ideologie der 68er-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 37–50. In: Skenderovic, Damir / Späti, Christian (Hrsg.): 1968 – Revolution und Gegenrevolution. Neue Linke und Neue Rechte in Frankreich, der BRD und der Schweiz. 1968 – Révolution et contrerévolution. Nouvele gauche et Nouvelle droite en France, RFA et Suisse. Basel 2008.
- Nicolaus, Jörg: Fanzines – Geschichte, Bedeutung und Perspektiven, S. 11–28. In: Neumann, Jens (Hrsg.): Fanzines. Noch wissenschaftlichere Betrachtungen zum Medium der Subkultur. Mainz 1999.
- Podewski, Madleen: Zeitschriften als ›kleine Archive‹, S. 97–108. In: Scheiding, Oliver / Fazli, Sabina (Hrsg.): Handbuch Zeitschriftenforschung. Bielefeld 2023.
- Schmidt, Christian: Meanings of Fanzines in the Beginning of Punk in the GDR and FRG. An Approach Towards a Medium Between Staging, Communication and the Construction of Collective Identities. 3 S. 42–72. In: Volume! 5:1 2006. https://journals.openedition.org/volume/636 (aufgerufen: 14.04.2024).
- Sülze, Almut: Forschen mit Fanzines. In: JuBri-Forschungsverbund Techniken jugendlicher Bricolage (Hrsg.): Szene, Artefakte, Inszenierungen. Interdisziplinäre Perspektiven. Magdeburg 2018, S. 3–32.
- Schwanhäußer, Anja: Stilrevolte Underground. Die Alternativkultur als Agent der Postmoderne. Leipzig 2023.
- Subcultures Network (ed.): Ripped, torn and cut. Pop, politics and punk fanzines from 1976. Manchester 2018.
- Thomalla, Erika: Underground Home Stories. Pseudonymer Klatsch im Popjournalismus um 1980, in: Lili. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 53/1 (2023), S. 55–66.
- Worley, Matthew: Punk, Politics and British (fan)zines, 1976-84: While the World was dying, did you wonder why? In: History Workshop Journal 79 /2015, S. 76–106.
- gefördert von der DFG
- mit freundlicher Unterstützung der Ludwig-Maximilians-Universität München
- in Zusammenarbeit mit der Humboldt Universität zu Berlin und dem Archiv der Jugendkulturen